Call for Papers
Zum Verhältnis zwischen den Hermeneutiken des Rechts und der Literatur
Wenn der Begriff der ‚Hermeneutik‘ Prozesse des Verstehens und des Interpretierens beinhaltet, dann betrachtet diese Kunst und/oder Wissenschaft Vorgänge, die sowohl in den Rechts- als auch in den Literaturwissenschaften grundlegend sind. Dabei gilt nach Klaus Weimar das Verstehen als unmittelbare Entschlüsselung von Zeichen und Texten, das Interpretieren hingegen ist als Vorgang zu bestimmen, der nicht unmittelbar verständliche Zeichen und Zeichensysteme zu erkennen versucht.
Die Frage nach dem Verhältnis einer Hermeneutik des Rechts und einer solchen der Literatur konstituiert allerdings unterschiedliche Antworten: Beide Verstehens-und Interpretationsformen enthalten nämlich durchaus spezifische Gemeinsamkeiten, aber auch erhebliche Unterschiede. So beschäftigen sich beide Auslegungsformen in ihrem Zentrum mit sprachlichen Zeichensystemen, deren Semantik und Systematik es zu entschlüsseln gilt, was erneut in Sprache – und als Wissenschaft in der Form von Urteilen und Schlüssen – erfolgt. Darüber hinaus gilt für beide Gegenstandbereiche der Recht- wie der Literarhermeneutik, dass Recht und Literatur sowohl auslegungsmöglich als auch auslegungsbedürftig sind, es also für beide Felder eine Notwendigkeit zur Auslegung gibt.
Andererseits erweisen sich beide Deutungsarten als grundlegend verschieden: Dieter Grimm und Christoph König haben vor Kurzem die schon länger vertretene These aktualisiert, dass es vor allem die normative Qualität von Gesetzestexten sei, die einen substanziellen Unterscheid zur Literatur ausmacht, weil diese keinerlei normative Ansprüche formuliere bzw. ausführe. Allerdings entwickeln nicht allein Pope, Voltaire, Gottsched oder Brecht in diesem Zusammenhang andere Argumente, wobei deren Verständnis von Normativität zunächst zu klären wäre. Dennoch kann man von einem Chiasmus zwischen Recht-und Literaturwissenschaft ausgehen, weil die Auslegung von Gesetzen vom Allgemeinen zum Besonderen in der Anwendung einer Gesetzesnorm auf einen Fall, die Deutung von Literatur jedoch vom besonderen literarischen Text zu einem in ihm realisierten allgemeinen Gehalt vorgeht. Diese Unterschiede lassen sich noch differenzierter und präziser fassen.
Für die genannten Problemlagen ergeben sich jedoch darüber hinaus komplexere Fragen: Was bedeutet es für eine Interpretation von Gesetzestexten, dass sie sich mit spezifischen Deutungsproblemen auseinanderzusetzen hat, wenn der zu bearbeitende Fall ein literarischer Gegenstand ist (z.B. Fiktionalitätsproblem)? Und umgekehrt: Gibt es besondere Herausforderungen für eine literarische Hermeneutik, die sich Texten zuwendet, die Recht und Gesetz bzw. deren Auswirkungen zum Gegenstand haben?
Die genannten Fragestellungen und Aspekte verstehen sich lediglich als Rahmen für Beitragsvorschläge. Weitere Anregungen sind ausdrücklich erwünscht. Wir bitten um die Zusendung von Beitragsvorschlägen in Form von Abstracts mit 300-500 Wörtern. Neben Vorschlägen aus allen Bereichen der Literaturwissenschaften wie auch Rechtswissenschaften sind auch Beiträge aus der Theologie, Philosophie, Soziologie, Politikwissenschaft und benachbarten Disziplinen erwünscht. Nachwuchswissenschaftler*innen sind ausdrücklich aufgefordert, Beitragsvorschläge einzureichen. Einsendeschluss hierfür ist der 24.01.2021. Die Vorträge sollten idealerweise eine Länge von 30 Minuten nicht überschreiten. Beitragsvorschläge sind mit dem Betreff „Hermeneutik“ bitte zu richten an Nursan Celik (ncelik@uni-muenster.de) und Gesine Heger (g_hege01@uni-muenster.de).
Die Tagung findet im Rahmen des Sonderforschungsbereich 1385 Recht und Literatur über Zoom statt. Interessierte sind herzlich eingeladen, teilzunehmen. Bei Fragen steht Ihnen PD Dr. Gideon Stiening (gstienin@uni-muenster.de), wissenschaftlicher Leiter und Organisator der Tagung, zur Verfügung.
Wichtige Termine:
Einreichungsfrist für Abstracts: 24. Januar 2021
Bekanntgabe der Annahme von Vortragsvorschlägen: bis zum 28. Januar 2021